Uleborden
Nach der Schweiz erlebte Herman Wirth in den folgenden Jahren Norddeutschland, Flandern und Friesland. Durch das unterschiedliche Erscheinungsbild der Menschen und ihrer Wohnstätten verstärkte sich sein Interesse für ihre Eigenart und Tradition. Dabei entdeckte er auch in Museen und der Literatur erstmals die Verbreitung von vergleichbaren Schmuck- und Sinnzeichen, Symbolen und untersuchte Herkunft und Alter: „Die uleborden in der niederländischen Provinz Friesland, dem alten Schwäneland, wurden erstmalig von mir 1923-24 mit der Telekamera gesammelt … Von den damals von mir aufgenommenen uleborden existiert heute schon die Hälfte nicht mehr oder noch weniger … Aber damals habe ich noch aus dem Munde der alten 80- und 90jährigen Dorfzimmermannsleute, der timmermanbaesen, erfahren können, daß jenes ulebord mit den Schwänen, dem bzw. Zeichen eigentlich nur derjenige auf seinem Haus als Giebelzeichen zu führen berechtigt war, der die eigenierde, die einierde habe …
Im ganzen nordeurasischen und auch nord-amerikanischen Raum ist der Schwan der Großen Mutter, der Himmels- und Erdenmutter, als Licht- und Lebensbringer, Seelengeleitvogel, Kinderbringer beigestellt …“ „ Bei sibirischen Stämmen, wie bei Lappen und Nordgermanen, fliegt der Schwan mit der Sonne, den Jahressonnenweg, d.i. das Zeichen. Er ist der Lenzesbote, der mit der steigenden Sonne, nach der Wintersonnenwende wieder nach Norden fliegt und nach der Sommersonnenwende mit der sinkenden Sonne wieder südwärts aufs offene Meer fliegt. Er ist daher der holende und bringende Seelengeleitvogel, der in das Weltenkreismeer, in den Mutterbrunnen eingeht und von dort mit dem neuen Leben wiederkehrt. Daher wird er paarweise dargestellt, der eine nach links gewendet, der holende, und der andere nach rechts gewendet, der bringende.
Skandinavische Felszeichnungen
Wir können daher in den skandinavischen Felszeichnungen der Bronzezeit die Totengeleitschiffe mit dem Steven oder dem naturalistischen Schwanenhalssteven erscheinen sehen in Verbindung mit dem oder Zeichen. Genau so erscheint der Schwan im Ägäischen Raum mit den Schiffen der Nordvölker der ägyptischen Inschriften, auf den Gefäßen des geometrischen Stiles, mit dem Zeichen, dem 4-, 8-speichigen Jahresrad, dem sogenannten Doppelaxtzeichen und anderen Symbolen der skandinavischen Felsbilder.
Und so sehen wir diesen heiligen, weißen Lichtvogel zuletzt noch im alten Inguaeonen-Gebiet an der Nordsee, in den alten Giebelzeichen des friesischen Bauernhauses, den uleborden: das gebogene Schwanenhalspaar, das links und rechts abgewendet zwischen sich die Sonnenscheibe oder das Rad, das oder das Kind mit erhobenen Ärmchen trägt …“
„Es wahrte also der alte 90jährige friesische timmermansbaes noch eine handwerkliche Überlieferung vom ul(e)bord, d.i. uodal-, uodil-, uodhilbord ‚Odalsbrett‘ als Wahrzeichen der Geschlechtererde, die wir von den Annales Brunswilarenses über die altfriesischen Küren und Landrechte bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts verfolgen können. Dann endet die Tradition, weil seit den 80-er Jahren (des 19.Jhs., d.Verf.) der handwerkliche Nachwuchs nicht mehr in der Dorfwerkstatt, sondern in den neugegründeten städtischen Gewerbeschulen (ambachtscholen) seine Ausbildung erhielt … aber nichts mehr (lernte) von der Überlieferung des alten Handwerksbrauchtums und seinem symbolischen Ornament, von dem man in der Stadt nichts mehr wußte.“ (4)
Quellen:
4) HW „Die symbolhistorische Methode“ in Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, Münster (2/1955) S. 132-134